Am Anfang meines Referendariats meinte ein Ausbilder, wir sollten eine Liste machen mit allen Rechtsproblemen die uns in den 2 Jahren über den Weg laufen. Das habe ich getan, unter anderem im Familienrecht, und teile unten die wichtigen Punkte, häufigen Fehler und Meinungsstreits, die ich mir notiert habe.
Allgemeine Probleme
§ 116 FamFG verdrängt die §§ 708, 709, 711 ZPO vollständig! Daher grober Fehler, wenn im Tenor des Beschlusses etwas zu vorläufiger Vollstreckbarkeit oder Abwendungsbefugnis auftaucht
§ 1357 I ermächtigt auch zur Kündigung, arg: Wer verpflichtet werden kann, muss auch kündigen können (bzw. sich allgemein vom Vertrag lösen können)
Achtung: Entscheidung in Familiensachen ergeht nur durch Beschluss; daher heißen auch Verfahrensbeteiligte etwa “Antragssteller” & “-gegner”; es “wird verpflichtet” (nicht verurteilt). Das ist wichtig im Rubrum und im Tenor
Das FamFG enthält für die Verfahren viele Sonderregelungen (örtliche Zuständigkeiten; Säumnis; Anwaltszwang; Antragsschrift; Verfahrensruhen und -aussetzung; Verfahrenskosten). Nur wenn keine solche Sonderregelung vorliegt verweist § 113 FamFG in die ZPO
Auch außerhalb von § 113 I FamFG, 260 ZPO ist eine Antragshäufung im FamFG möglich, obwohl nicht ausdrücklich geregelt. Dann müssen die Anträge aber auch demselben Verfahren angehören, dh es darf sich dann jeweils nicht um Familienstreitsachen oder Ehesachen handeln, da diese ZPO-Verfahren nach § 113 I FamFG sind.
Der Scheidungsverbund ist in § 137 FamFG geregelt. Liegt er vor, wird über die Scheidung zusammen mit dem Rest entschieden. Eine Abtrennung einzelner Verfahren ist nach § 140 FamFG nur in seltenen Ausnahmen möglich.
Die Einhaltung der 2-Wochenfrist in § 137 II FamFG muss auch möglich sein, sonst darf der Antrag nicht als verfristet zurückgewiesen werden. Das ist etwa der Fall, wenn die Ladung zum Termin zu kurzfristig erfolgte. Auch wird hier eine gewisse Entscheidungsfrist eingeräumt, in Anlehnung an § 217 ZPO wohl von einer Woche. Im Ergebnis muss die Ladung zur Verbundssache mindestens 3 Wochen zuvor erfolgen (BGH).
Bedürftigkeit = Bedarf – (eigenes Einkommen & Vermögen)
Einkommensermittlung
Für die Einkommensermittlung ist immer eine Prognose anzustellen für das nächste Jahr.
- zu Einzelheiten immer in die SüdL (Südleitlinien) schauen
- grundsätzlich sind von sämtlichen Einkünften (ggf. auf das Jahr umgerechnet)alle unterhaltsrelevanten Belastungen abzuziehen
- Berufsbedingte Aufwendungen (Fahrtkosten, Kleidung,…) sind grds. abzuziehen. In der Praxis wird hier häufig eine Pauschale von 5% des Einkommens angesetzt.
- Boni sind zum Gehalt dazuzurechnen, wenn davon auszugehen ist, dass sie im nächsten Jahr wieder gezahlt werden. Z.B. Weihnachts- & Urlaubsgeld (anders z.B. Einmalzahlung für Firmenjubiläum)
Privilegierung minderjähriger Kinder
- minderjährige Kinder werden privilegiert, u.a. durch § 1603 II: Eltern können bspw. verpflichtet sein, regelmäßig mehrere Bewerbungen zu schreiben (im Rahmen der Zumutbarkeit)
- wenn Bewerbung unterlassen wird: Einkommen wird unterstellt (fiktives Einkommen gemessen an früherem Einkommen; anders z.B. wenn schon lange nicht mehr gearbeitet; dann Messung an etwa Stand der Ausbildung, Berufserfahrung)
- Privilegierung auch durch § 1602 II: minderjährige Kinder haben auch Anspruch auf Unterhalt, wenn eigenes Vermögen vorhanden ist
Trennung von zukünftigem (=laufendem) Unterhalt und; rückständigem Unterhalt (für die Vergangenheit), § 1613
- Bedarf & Bedürftigkeit sind jeweils getrennt zu bestimmen
- §1613 enthält weitere Voraussetzungen, wenn Unterhalt für die Vergangenheit geltend gemacht wird
Mangelfall: Wenn Einkommen zur Selbstdeckung und Unterhaltszahlung nicht ausreicht (s. SüdL)
- Rangfolge der Unterhaltsberechtigten zu beachten (§ 1309 BGB)
- Prozentuale Kürzung vorzunehmen. Die Quote ergibt sich aus dem Verhältnis von dem, was verteilt werden müsste, zu dem, was verteilt werden kann
- Unter gleichrangigen Unterhaltsberechtigten wird dann anhand dieser Quote berechnet, was sie bekommen. Wenn etwa ein älteres Kind laut SüdL mehr erhalten würde als ein gleichrangiges jüngeres Kind, erhält es auch jetzt mehr.
Ehegattenunterhalt
- Erwerbstätigenbonus: Wer tatsächlich arbeitet, darf 10 Prozent seines Nettoeinkommens behalten; sind beide Ehepartner erwerbstätig, sind die 10 Prozent bei beiden abzuziehen (st.Rspr. des BGH; steht auch so in den SüdL)
- “Surrogatslösung”: Führt ein Ehegatte während der Ehe den Haushalt und nimmt er danach eine Erwerbstätigkeit auf, ist das dort erzielte Einkommen der Höhe nach auch für die Zeit der Haushaltführung anzusetzen (arg: diesen wirtschaftlichen Wert hatte offenbar auch die Haushaltsführung). Hierbei handelt es sich natürlich um eine Fiktion
- Bei unverschuldetem Verlust der Arbeit wird das geringere neue Gehalt angerechnet. Es besteht die Pflicht, sich um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen (§ 1569 S. 1 BGB)
- Beförderung bzw. Gehaltserhöhung ist nur zu berücksichtigen, wenn sie “in der Ehe angelegt” war, das heißt vorhersehbar war, sonst nicht. Kleine Wechsel innerhalb desselben Unternehmens oder innerhalb der Branche sind in der Regel “angelegt”, ein völlig anderer neuer Job eher nicht, etwa wenn der Ehemann unverhofft Vorstand wird.
Abänderungsantrag nach § 238 FamFG: Das Vortragen von veränderten Umständen ist Zulässigkeitsvoraussetzung und doppelrelevante Tatsache. Für die Zulässigkeit müssen diese also “nur” glaubhaft gemacht werden.
§ 1579 Nr. 2: Die “Verfestigte Lebensgemeinschaft” ist ungefähr festzumachen an dem Publizitätselement (“Wissen andere davon?”), Verfestigungselement (“Gemeinsames Bankkonto?”), und Zeitelement (etwa 3 Jahre). Am Ende ist eine Gesamtabwägung
Der Auskunftsanspruch kann (nach herrschender Ansicht) nicht vor dem Hauptanspruch verjähren, sonst wäre der Zweck des Rechtsfriedens nicht gewahrt. Der Auskunftsanspruch soll die sinnvolle Durchsetzung des Hauptanspruchs ermöglichen.
Aus demselben Grund muss auch die Verjährungshemmung durch Rechthängigkeit parallel für den Auskunftsanspruch gelten.
Anspruchsgrundlagen im Familienrecht
Das sind die wichtigsten Anspruchsgrundlagen im Familienrecht:
- § 1298 BGB für Schadensersatz bei Rücktritt vor der Heirat
- § 1301 BGB: Herausgabeanspruch auf Verlobungsgeschenke
- § 1353 BGB auf Einhaltung der ehelichen Gemeinschaft
- § 1360 BGB für den Ehegattenunterhalt
- § 1361 BGB für den Unterhalt bei Getrenntlebenden
- § 1378 BGB für Zugewinnausgleich
- § 1379 BGB: Auskunftsanspruch
- § 1569 BGB für den Geschiedenenunterhalt
- § 1601 BGB für den Verwandtenunterhalt/Unterhaltsanspruch des Kindes
Verwirkung des Unterhaltsanspruchs
Die Verwirkung ist in § 1611 BGB geregelt. Nach § 1611 II BGB kann ein minderjähriges Kind seinen Anspruch auf Unterhalt nicht verwirken. Ein Klausurproblem ist die bewusste Kontaktvermeidung eines Unterhaltsberechtigten gegenüber des Unterhaltsverpflichteten; nach herrschender Ansicht ist dies aber kein Fall der Verwirkung nach § 1611 I BGB.
Verzicht auf den Unterhaltsanspruch
Nach § 1614 I BGB kann auf zukünftigen Unterhalt nicht verzichtet werden. Für die Vergangenheit ist ein Verzicht aber möglich. Weiter gilt nach § 1614 II BGB i.V.m. § 760 II BGB, dass Vorausleistungen über drei Monate hinaus nicht befreiend wirken. Der Vorausleistende handelt auf eigene Gefahr, wenn die Bedürftigkeit eintritt.
Zulässige Abzüge beim Kindesunterhalt
- Abgezogen werden kann eine Altersvorsorge (nach BGH neben den Beträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung bis zu 4 % des Bruttoeinkommens). Diese muss aber tatsächlich bezahlt werden; ein pauschaler Abzug ist also nicht möglich
- Weiterhin können bei entsprechenden Anhaltspunkten 5 % des Nettoeinkommens für berufsbedingte Aufwendungen (als Pauschale) abgezogen werden. Dieses pauschale Vorgehen scheidet aus, wenn ein Mangelfall besteht. Dann werden nur diejenigen tatsächlich angefallenen berufsbedingten Aufwendungen abgezogen, die eine Voraussetzung sind, um arbeiten zu können (beispielsweise Aufwendungen für den Weg zur Arbeit)
- Schulden oder Darlehensraten können nach billigem Ermessen abgezogen werden (hierbei wird vor allem darauf geachtet, ob es sich um “gute” oder “schlechte” Schulden handelt, also aus welchem Grund sie aufgenommen wurden). Hierbei ist zu berücksichtigen, wann die Schulden oder Darlehensraten angefallen sind, z.B. ob in einer Zeit, in welcher eine Familie noch zusammengelebt hat oder ob das Kind bereits geboren war
Aus §§ 1601, 1589 hat immer nur das Kind einen Unterhaltsanspruch, nie der Ehepartner; das ist wichtig für den Obersatz. Dies gilt auch, wenn der Ehepartner den Anspruch geltend macht für das Kind!
Grundsätzlich erfüllen beide Elternteile den Unterhalt, § 1606 III 1 BGB
- Aber: bei Getrenntleben erfüllt meist ein Elternteil seinen Unterhalt durch Pflege und Erziehung des **minderjährigen** Kindes und muss somit nicht zahlen. Bei volljährigen Kindern findet Abs. 3 Satz 2 dagegen **nie** Anwendung, d.h. es wird immer von beiden Eltern anteilig gezahlt
- Dann ist alleine auf den anderen Elternteil abzustellen, insb. beim Bedarf
- Wenn ausnahmsweise beide Elternteile die Pflege und Erziehung übernehmen, müssen auch beide Eltern berücksichtigt werden (auch bei der Bedarfsberechnung), d.h. sie teilen sich den Unterhalt dann anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Ein solcher Fall ist in der Klausur selten, da er sehr rechen-intensiv wäre
- Achtung: § 1606 III gilt nur für den “normalen” Unterhalt, nicht bei Mehrbedarf; dieser wird immer von beiden Eltern anteilig gezahlt!
§ 1606 III 1 ist nach herrschender Ansicht kein Erlöschensgrund für den Unterhaltsanspruch, sondern entscheidet alleine darüber, ob die Unterhaltspflicht des anderen Ehegatten zu berechnen und der Unterhalt anschließend zu quoteln ist
Beschlüsse in Ehe- und Familienstreitsachen ergehen nach herrschender Ansicht ausnahmsweise (wie sonst nur Urteile) “Im Namen des Volkes” wegen der Verweisung auf die §§ 253ff. ZPO in § 113 I FamFG
Die Beschlüsse werden in Familiensachen auch üblicherweise mit “Endbeschluss” überschrieben, obwohl es im Gesetz nicht vorgeschrieben ist
Im Gegensatz zum sonstigen Zivilrecht ist es in Familiensachen üblich anzugeben zur Klarstellung, woraus sich eine Zahlungsverpflichtung (nicht) ergibt. Der Verfahrensgegner wird also nicht nur “zur Zahlung von 500 Euro monatlich” verurteilt, sondern zur “Zahlung von 500 Euro Unterhalt für das gemeinsame Kind X monatlich”
In den Fällen des § 116 III 2 FamFG “kann” die sofortige Wirksamkeit (nicht die Vollstreckbarkeit, das wäre ein grober Fehler!) angeordnet werden; das sollte in der Klausur aber nur ausnahmsweise geschehen (dann also einfach gar nichts zur Wirksamkeit, erst recht nicht Vollstreckbarkeit, schreiben)
Auch Vergleiche aus anderen Verfahren können nach h.M. analog § 127a BGB die notarielle Beurkundung ersetzen (arg: Der Wortlaut stellt nur klar, dass dies auch durch Ehesachen geschehen kann; soll aber nicht heißen nur durch Ehesachen)
§ 1374 II BGB ist (nach h.M.) eine Ausnahmevorschrift und kann daher nicht analog etwa auf Lottogewinne angewandt werden. Ein weiteres Argument ist auch, dass Geschenke typischerweise auf einem Näheverhältnis beruhen, das einen Ausgleich unsachgemäß macht; das ist beim Lottogewinn gerade nicht der Fall, es gibt kein Näheverhältnis
Bei Ausgleichforderungen aus § 1378 I BGB immer auch an die Kappungsgrenze in Abs. 2 denken! Ratio: soll verhindern, dass Zugewinnausgleich kreditfinanziert wird; Dieser soll vielmehr immer aus den vorhandenen Mitteln bezahlbar sein
Auch zu denken ist an den Ausschluss wegen “grober Unbilligkeit” nach § 1381 BGB. Dies ist aber eine Ausnahmevorschrift, die nur bei sonst “unerträglichen Ergebnissen” angewandt wird, nicht nur, weil etwas “unfair” wirkt